Ganze 42% der Eltern lesen (nach einer Studie vor ein paar
Jahren) ihrem Kind nicht regelmäßig vor[1]– also
ich gehöre nicht dazu. Tagsüber hält sich meine Motivation zwar manchmal etwas
in Grenzen, aber wir arbeiten uns gerade durch die örtliche Bücherei und die
eigene (Kinder-) Bibliothek kann sich auch wirklich sehen lassen...Omas, Tanten
und der Bücherwurmmama sei Dank.
Die große Vorlesezeit ist bei uns Abends. Bereits im Bett
darf sich jeder eine Geschichte aussuchen und nur ganz selten streiken Mama
oder Papa mal bei der Wahl (auf dem Film basierende, schlecht gekürzte
„Cars“-Geschichten stehen ganz oben auf der „Heute-nicht“-Liste...). Die
abendliche Vorlesegeschichte gehört also zum festen Ins-Bett-geh-Ritual und
wird ergänzt von dem „Abendgruß“: das Sandmännchen hat jeden Abend seinen
Auftritt vor dem Bücherlesen (und das übrigens völlig stressfrei und auch
bereits im Bett liegend, seitdem die tagesaktuelle Folge auch über die
Sandmännchen-App angeschaut werden kann).
Die Unser Sandmännchen-App., Teil des abendlichen Einschlafrituals
Für diejenigen, bei denen das letzte „Sandmännchen“ schon
etwas länger her ist: Das alte West-Sandmännchen hat nach der Wende mit dem
Ost-Sandmännchen fusioniert und enthält Elemente von beiden Versionen. Es gibt
immer eine feste Abfolge, der zufolge zuerst das Sandmännchen
angefahren/geflogen/gelaufen kommt, teilweise in futuristischen Fahrzeugen in
absurden Situationen. Es trifft Kinder auf der ganzen Welt. Selbst auf dem Mond
war es schon und nahm per Funk zu Kindern Kontakt auf, es trifft
Rotkäppchen und verscheucht den Wolf, oder befreit die Straßen noch
schnell mit dem „Winterdienstfahrzeug“ vom Schnee. Dann lässt es sich zu
dem Lied
„Sandmann, lieber Sandmann es ist
noch nicht so weit, wir sehen erst den Abendgruß, ehe jedes Kind ins Bettchen
muss, du hast gewiss noch Zeit...“ erweichen, noch einen Abendgruß zu zeigen
(Merke: Quengeln hilft auch beim Sandmännchen!).
Hier kommt das Sandmännchen angeflogen...
Dieser wird über einen Fernseher
oder aus einem anderen geeigneten Gefäß heraus abgespielt und zeigt eine
Episode von „Pittiplatsch und Schnatterinchen“ (für die „Ost-Sandmännchenkinder“
unter uns), dem kleinen König, von einer Band singender Pinguine oder den putzigen Maulwürfen „Paula und Paula“ – meine Lieblinge. Ganz
groß ist auch Axel Prahl als Märchenonkel! Dann ist der Abendgruß nach ein paar
Minuten zu Ende und das Sandmännchen macht sich bereit zur Abfahrt mit den
Zeilen:
„Kinder, liebe Kinder, es hat mir
Spaß gemacht, Nun schnell ins Bett und schlaft recht schön, dann darf auch ich
zur Ruhe gehen. Ich wünsch euch gute Nacht. “.
Dann ein Griff in den
Sandmännchen-Sack, ein gezieltes Streuen des Sandes zu den Kindern, sowohl im
TV, als auch davor (bzw dem „mobilen Endgerät“), erstes Augenreiben bei den
Sandmännchenkindern, kein Augenreiben bei meinen Kindern... aber nun gut.
Das Gefährt in der App erinnert aber arg an eine Weiterentwicklung des alten West-Sandmanns, oder?
http://www.youtube.com/watch?v=5k7bblmlAFc
Und dann fragte mich mein Großer letztens (nach fast 2 Jahren Sandmännchenberieselung): Wie schläft das Sandmännchen?
Ihn beschäftigte weniger die Frage, wo genau das
Sandmännchen schläft, als vielmehr,
wie es schläft, wenn es den Sand den Kindern in die Augen
streut und selber keinen mehr übrig hat...
Zur Frage des „Wo schläft das Sandmännchen“ ganz kurz: das
Ostdeutsche Format „Unser Sandmännchen“ kam kurz vor dem Westdeutschen
„Sandmännchen“ heraus und in der ersten Folge schlief das Sandmännchen nach
getaner Arbeit an einer Straßenecke ein – was ein große Welle von besorgten
Briefen nach sich zog, in dem Kinder dem Sandmännchen ihr Bett anbieten wollten
und die Eltern protestierten. Ob das heute noch passieren würde? Wahrscheinlich
bräche ein multimedialer Shitstorm los, der das Sandmännchen für immer auf den
Mond vertreiben würde.
Ich habe mir, ehrlich gesagt, nie soviel Gedanken übers
Sandmännchen gemacht, sondern es so
genommen, wie es war (vielleicht vergleichbar mit dem Weihnachtsmann...wie der
alle Geschenke rechtzeitig verteilt, wird ja auch ewig ein Rätsel bleiben). Aber wenn ich jetzt darauf achte: ja, das
Sandmännchen schläft auch. Man kann es wohl getrost als „nachtaktiv“
bezeichnen, denn es arbeitet abends und nachts und schläft tagsüber. In dem
Buch von meinem Jüngsten „Meine ersten Sandmännchen-Geschichten“ wird öfter erwähnt, dass es
verschlafen hat und sich abends sputen muss...in diesem Buch hat es aber auch
eine Frau, die seinen Job übernimmt, als es mal krank wird (das Sandmännchen
kann krank werden?). Wo es schläft, wird aber nie erwähnt...ich stelle mir ja
vor, dass es auf einer Wolke schläft, nah an Mond und Sterne (zumindest eher
als an einer Straßenecke...) – oder sogar noch eher auf dem Mond?? Max sagte,
es schläft unter einem Blätterhaufen...
Und da es für mich „erwachsen“ ist, denke ich auch, es
kann selber ohne Schlafsand, oder auch
Traumsand genannt, einschlafen. Das habe ich zumindest so geantwortet. Das
Sandmännchen braucht keinen Sand zum Einschlafen. Aber offensichtlich würde es
auch einschlafen, wenn es selber Sand in die Augen bekommt, denn das scheint die
„Gefahr“ zu sein, als es in einer Geschichte im Buch einmal stolpert. Dann wäre
das ja ein verdammt verantwortungsvoller Job – der Sandmann. Wenn er einen
Fehler macht und verschläft oder sich selber zum Einschlafen bringt, wären alle
Kinder die ganze Nacht wach! (Ehrlich gesagt, ich glaube ja, er schlampert
manchmal bei uns auch etwas...wenn ich mir unsere phasenweisen Nachteulen
ansehe...).
Und wo wir gerade dabei sind: woher kommt der Sand? Denn
einfach Sandkistensand über den kleinen Bruder zu schütten endet eher in einem
hysterischen Wutanfall, als einer schläfrigen Müdigkeit. Vielleicht weiß der andere Kinderheld weiter: Benjamin Blümchen. Laut einer Folge von
„Benjamin Blümchen“, gibt es nämlich eine Insel. Und es fährt immer das Schiff „Sandrella“
zur Insel „Simsandlabim“, um den Traumsand mitzubringen und die Familie
Sandmann damit zu beliefern. Familie? Ja, denn inzwischen gibt es Nachwuchs und
die Sandmännchentochter beweint zusammen mit ihren Eltern den fehlenden Schlafsand
(natürlich gibt es ein Happy End!). Das fand ich schon arg absurd...
Und liege damit ganz offensichtlich auf einer Linie mit dem
damaligen DDR Fernsehen...
als der erste
deutsche Astronaut Sigmund Jähn ins Weltall flog, hatte er eine Sandmännchenpuppe dabei, die dann eine spontane Puppenhochzeit
mit der Puppe Mascha (sowjetischer TV Star) vom sowjetischen Kollegen feierte.
Zwei Männer fliegen ins All und haben was dabei? Ihre Puppen? Auf jeden Fall
hat sich das DDR-Fernsehen umgehend beschwert – das Sandmännchen dürfe keine Frau
haben. Und jetzt hat es sogar eine Familie...im Grunde ist es mir egal, wer wen
heiratet und mit wem Kinder bekommt, aber für mich ist das Sandmännchen mehr
ein Neutrum, ohne Alter, ohne Familie – wie der Weihnachtsmann auch keine
Kinder hat. Denn was passiert denn, wenn der Sandmann alt wird? Übernimmt dann
seine Tochter? Vielleicht lässt sich das Sandmännchen auch irgendwann scheiden
(man geht ja offensichtlich mit der Zeit) und heiratet eine Sternfee? Ich
finde, eine realistische Geschichte mit Frau und Tochter überflüssig – der
Sandmann ist nicht echt, er ist ein fiktive Märchenfigur und muss nicht logisch
aufgearbeitet werden.
Man sagt, anhand einer Zeichnung erkennt man, welchem Sandmännchen das Kind
ausgesetzt war - ziemlich deutlich, oder?
Und als letzter Exkurs, denn ich hatte das noch nie gehört,
war aber schwer erstaunt: Sandmann zu sein, ist vom Ursprung her ein sehr
hartes Los. Ein „Sandmann“ im
Mittelalter war nämlich noch ganz unten – als Tagelöhner grub er Sand ab,
mahlte ihn und verkaufte ihn in der Stadt als Stubensand. Dieser Sand wurde auf
dem Boden der Wohnungen verteilt und erst abends wieder zusammengekehrt – der
Boden war saubergescheuert. Die Arbeit der Sandgewinnung war sehr hart und
führte bei den Sandmännern zu erheblichen Beschwerden, denn der Sand „rieselte
in ihre Augen, die sich davon entzündeten und rot anliefen“[2]. E.T.A.
Hoffmann „inspirierten die schwindsüchtigen, rotäugigen Sandmänner zu einem
unheimlichen Monster, das den Kindern die Augen aussticht. Rieben sich die
Kinder abends die Augen, so sei der böse Sandmann daran schuld.“[3] – mal
ehrlich, welches Kind kann denn bei solchen Horror Geschichten noch entspannt
ins Bett gehen? Hans Christian Andersen nahm sich der 1816 erschienen
Geschichte an und schuf „Ole Lukoje“, der Kinder sanft zum Einschlafen, indem
er süße Milch in die Augen spritzt und Geschichten erzählt – eine besondere Bedeutung kommt dabei zwei Regenschirmen zu,
die er über den Kindern ausbreitet. Einen mit bunten Bildern, damit die artigen
Kinder tolle Träume erleben und einen ohne Bilder, den diejenigen Kinder
bekommen, die nicht artig gewesen sind. Und jetzt waren wir schon fast bei
„unserem“ Sandmännchen angekommen...
Und ich gestehe, dieses Mal habe ich so richtig was
gelernt...und weil es mich so begeistert hat, ist die eigentliche Frage etwas
in den Hintergrund gerückt: Wie das Sandmännchen einschläft? Ich meine, das
kann es ganz alleine und braucht keinen Sand dazu – sollte es den aber mal
benötigen, hat es bestimmt genug. Woher auch immer. Alles kann ich nicht
wissen.
Weitere Quellen:
-
Szesny, Susanne; Künzler-Behncke, Rosemarie:
„Meine ersten Sandmännchen-Geschichten“, Ravensburger Buchverlag, 2008
-
Benjamin Blümchen Gute-Nacht-Geschichten „Die
Traumfee-Königin Karolila“ (Folge 13), CD
-
http://www.wikipedia.de
„Der Sandmann“, „Ole Lukoje“, „Sandmännchen“